Psychiatrietag der Angehörigen
12.11.2008
Bericht über den Psychiatrietag
der Angehörigen im Sitzungssaal
der Stadtverordneten im Rathaus
in Wiesbaden
mit anschließendem Empfang im Landtag
anlässlich des 20jährigen Bestehens
am 7. November 2008
An diesem Psychiatrietag des Landesverbandes Hessen der Angehörigen psychisch Kranker haben aufgrund der Einladung von Professor Peukert zum ersten Mal Psychiatrie-Erfahrene aus den Betroffenenverbänden aktiv mitgewirkt. Franz-Josef Wagner hat einen Vortrag zum Thema gehalten. Hans-Jürgen Wittek und ich waren eingeladen, zur Umsetzung des Persönlichen Budgets aus Betroffenensicht Stellung zu nehmen. Außerdem waren Sylvia Kostera aus Darmstadt, Renate Berger aus Wiesbaden und Eugen Berker aus Nauheim bei Darmstadt gekommen. Das Thema des ersten Teils des 4. Hessischen Psychiatrietages war die Verwirklichung des Persönlichen Budgets. Hierzu hat Herr Kron, Referent u.a. für das Persönliche Budget im Hessischen Sozialministerium, zur Frage Kosten/Nutzen des PB und über mein Lieblings-Thema: "Paradigmenwechsel vom Fürsorge- zum Teilhabegedanken im SGB IX" einen Vortrag gehalten, der mich sehr begeistert hat. Nach seinen Ausführungen gibt es einen Abschlußbericht über die Erprobungsphase aus den beiden hessischen Modellregionen, den man im Internet abrufen kann.
Aus dem Vortrag von Herrn Kron ging hervor, dass die SERVICE-Stellen, die für die Umsetzung des PB vom Gesetz vorgesehen und unabdingbar notwendig sind, noch nicht eingerichtet wurden. Daher fehlt die Beratung im Vorfeld der Bewilligung, ohne die das Persönliche Budget keinen Erfolg haben kann. Dies zeigt sich auch in der Praxis. Es weiß wirklich niemand Bescheid. Das Ganze droht ein Flop zu werden. Herr Kron ruft die Betroffenenverbände auf, inzwischen weiterhin die psychisch Kranken zu beraten, bis die SERVICE-Stellen eingerichtet sind. Professor Peukert hat in der FH Wiesbaden 2008 damit angefangen, Seminare für die Fachleute in der Gemeindepsychiatrie anzubieten. Er ging zum Schluss der Vorträge mit dem Mikrofon auf die Besucher zu und fragte, wo denn die Beratung zu diesem Thema durch die Psychosozialen Kontakt- und Beratungsstellen bleibe, das wäre doch auch die Sache der Sozialpädagogen vor Ort gewesen, die Betroffenen zu diesem Thema zu beraten. Da kam keine Antwort. Mir wurde klar, dass die sträfliche NUTZLOSIGKEIT des bisherigen Versorgungs-Systems für psychisch Kranke nicht besser aufgezeigt werden kann als am Beispiel der Umsetzung des Persönlichen Budgets. Da gibt es seit 2004 ein Gesetz, das auch für psychisch Kranke Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen soll. Dieses Gesetz interessiert im bestehenden Versorgungssystem niemanden! In unserer Landeshauptstadt Wiesbaden gibt es z.B. bisher ein einziges genehmigtes PB, und da weiß ich nicht einmal, ob das für einen psychisch Kranken genehmigt worden ist.
Was hat das alles bisher für ein Geld gekostet: das Gesetz, die vielen Infos all die Jahre, die Arbeit in den Modellregionen, die psychosozialen Kontakt- und Beratungsstellen, die Mitarbeiter in den Sozialämtern, in den Ministerien, in der Fachhochschule. Ein Wahnsinnsgeld ! Und was kommt nach 5 Jahren beim Betroffenen an der Basis heraus: Verständliche Verweigerung (Jörg) und Verzweiflung am eigenen Wesen und Verstand (Heidi). Es war verschiedentlich die Rede davon, was die Hilfeleistung im Rahmen des PB kosten darf: Putzfrau 12,50 €, nicht professionelle Basisbetreuung 23 €, Fachleistungsstunde im Betreuten Wohnen 43 €. Wenn sich Mitglieder einer Selbsthilfegruppe seit 20 Jahren in allen Lebenssituationen untereinander helfen, dann ist das nach meinem Selbstverständnis Basisbetreuung, Betreutes Wohnen oder auch Soziotherapie - mit Krisendienst am Wochenende und ist daher mindestens 30 €/Std. wert. Und wir haben bis heute noch nicht einmal einen geeigneten Treffpunkt. Ich habe auf dem Podium gesagt, dass ich begeistert war, als ich über die Betroffenenverbände von diesem Gesetz schon sehr früh erfahren habe. Franz-Josef Wagner war der erste, der uns davon berichtet hat. Ich wollte es ihm anfangs gar nicht glauben, dass es so etwas geben soll.
- Auf eine Anfang 2007 in unserem Kreishaus gestellte Anfrage, ob es bei uns schon eine Servicestelle oder ein Antrags-Formular gibt, bekam ich die Antwort, "Das Gesetzt gilt erst ab 2008. Die Anträge können dann formlos gestellt werden".
- Im städtischen Arbeitskreis für Behinderte wurde das Thema erst gar nicht behandelt. Fachleute in helfenden Institutionen in meiner Umgebung sagten mir unumwunden: "Das wird nie etwas mit dem Persönlichen Budget".
- Den gesetzlichen Betreuern in unserem Kreis wurde bei einer Schulung gesagt: "Damit müssen Sie sich gar nicht erst befassen, das betrifft ihre Klienten nicht."
- Ich fragte im Herbst 2007 unsere Psychiatriekoordinatorin, ob es z.B. eine Weiterbildung für die Mitglieder der SHG gibt, weil ja die Anträge für das PB von den Betroffenen selbst gestellt werden sollen. Darauf bekam ich keine Antwort.
- Licht in das Dunkel kam für viele Betroffene beim Hessentreffen des LvPEH im Herbst 2007. Eine Mitarbeiterin aus der Modell-Region Groß-Gerau machte uns Mut und stellte uns ein einfaches Formular zur Verfügung, das die wichtigsten Angaben für den Antrag enthielt und das von jedermann auch gut auszufüllen war. 60 % der in den Modellregionen bewilligten Budgets sind übrigens an Psychisch Kranke gegangen, die bis dahin in keinerlei Hilfs-Programme eingebunden waren.
- Unabhängig voneinander sind im Saarland mit Peter Weinmann und bei uns in Taunusstein mit Gabriele Voß Beratungsstellen entstanden. Der BPE hat mit Karin Roth in kürzester Zeit ein Netzwerk eingerichtet und berät die Multiplikatoren in der ganzen Bundesrepublik mit juristischer Unterstützung - bisher für uns kostenlos.
- Es gibt aus meiner Sicht für uns keinen anderen Weg, als alle Mittel, die unser Verein und der LvPEH aufbringen können, für eine Beratungstätigkeit innerhalb unserer Selbsthilfegruppe auszugeben, um das eine oder andere Persönlich Budget durchzusetzen,
- Wer jetzt eine Verbesserung seiner zugegeben traurigen Verhältnisse haben will und wer die selbst bestimmte Teilhabe anstrebt, muss einen Antrag stellen und die Prozedur der Bewilligung über sich ergehen lassen, auch wenn das gerade für viele psychisch Kranke ein besonders schwerer Weg ist. Viele haben Angst, vom System geschluckt zu werden, weil in diesem Verfahren ihre Lebenssituation durchleuchtet wird und weil einige mit Recht z. B. um das Häuschen ihrer Mutter etc. fürchten müssen.
Wo das Persönliche Budget erfolgreich praktiziert wird, wurde sehr schnell klar, dass der Gesetzgeber mit dem PB ein ausgesprochen pfiffiges Sparprogramm erfunden hat. Die in den letzten 20 Jahren entstandenen Wasserköpfe rund um die Psychosozialen Kontakt- und Beratungsstellen sind nicht effektiv. Dort muss nun schnellstens umgedacht werden. Das Persönliche Budget wird sich durchsetzen! Und zwar weil es kundenorientiert .effektiv und auf die Dauer billiger ist. Unseren im Folgenden geschilderten Fall habe ich erst gar nicht vorgetragen. Die bisherige Handhabung der Antragstellung hatten alle Vorredner schon genau so geschildert. Die Behörden sind nicht informiert, die Anträge werden nur schleppend bearbeitet.