Psychiatrietag der Angehörigen

Unser erster Antrag auf Persönliches Budget Anfang Juni hatten wir endlich einen Betroffenen, der bereit war, diesen formlosen Antrag aus der Modellregion Groß-Gerau zu stellen. Er befand sich wegen der komplizierten Abwicklung seiner privaten Krankenversicherung in einer echten Notsituation. Er hatte kein Geld für die Medikamente, weil Rückzahlungen ausgeblieben waren. Wir baten damals den Amtsarzt im Gesundheitsamt um Unterstützung, da er den Betroffenen bereits begutachtet hatte, als er einen Zuschuss zu einer Reise mit der Selbsthilfegruppe genehmigt hatte. Mitte Juli bekamen wir dann doch offizielle Antragsformulare von unserer Behörde, die der Betroffene mit Hilfe des VdK ausfüllte. Am 25.08.2008 fand im Kreishaus ein Gespräch statt mit dem Ergebnis, dass als Eingliederungshilfe eine Haushaltshilfe für den Betroffenen genehmigt wird. Dazu wird ein gesetzlicher Betreuer und Betreutes Wohnen empfohlen. Der Betroffene soll ein Attest über seine Rückenbeschwerden vorlegen. Am 23.09.2008 schickte die Urlaubsvertretung der Sachbearbeiterin dem Betroffenen nochmals einen Satz Formulare zu. Die Sachbearbeiterin sagte uns nach ihrem Urlaub, dass die neuen Formulare nicht ausgefüllt werden müssten. Es gäbe demnächst einen Gesprächstermin. Außerdem erklärte sie in diesem Gespräch, dass sie bei einer Fortbildung "von ganz oben" die Weisung bekommen habe, dass "nachbarschaftliche Hilfen" nicht vom PB übernommen werden und Betreuerarbeiten auch weiterhin nur von gesetzlichen Betreuern gemacht werden sollen. Ende Oktober kam völlig unerwartet anstelle des Gesprächstermins die Aufforderung, nun doch die übersandten Formulare auszufüllen und gleichzeitig ein fachärztliches Gutachten vorzulegen. Der Sozialpsychiatrische Dienst solle jetzt eingeschaltet werden. Ich teilte der Sachbearbeiterin mit, dass wir in diesem Fall den Amtsarzt bereits Anfang Juni 2008 vergeblich um Hilfe gebeten hatten. Wir sind also jetzt mit diesem Antrag, der Anfang Juni gestellt worden ist, wieder am Punkt Null.

Die folgenden Gedanken habe ich mir im Vorfeld des Psychiatrietages gemacht, konnte sie aber nicht einbringen Till Eulenspiegel hat es bei der Räumung eines Spitals so gemacht: Er gab die Parole aus "Aus dem, der am allerschlimmsten krank ist, machen wir ein Pulver, mit dem wir alle anderen heilen können." Sehr schnell konnten alle Kranken aus dem Spital weglaufen. Viele kamen jedoch wieder zurück. Mit dem PB ist das umgekehrt: Wer glaubt, dass es ihm zusteht, kann Geld dafür beantragen, dass er sich selbst ein menschenwürdiges Leben einrichten kann. Wir müssen darauf hinarbeiten, dass die Betroffenen diese Chance nutzen und dass sie nicht wieder in die Rundum-Betreuung zurückfallen. Profis haben eine völlig andere Denkweise als die Betroffenen und ihre Angehörigen. Ich finde für meine Idee eines Integrativen Treffpunkts in unserer Stadt bei der Bevölkerung mehr Verständnis als bei den Fachleuten. Schon vor 15 Jahren war unsere Arbeit nach Ansicht der Sozialpädagogen in unserem Umfeld "keine Arbeit mit psychisch Kranken", da wir ja nur Laien sind. Ich weiß nicht, ob man diese Absurdität überhaupt verstehen kann. Wir sind Laien, die seit 20 Jahren mit zum Teil sehr schwierigen Menschen zurechtkommen. Wir können nicht immer helfen, wir gehen aber ein Stück mit den Betroffenen, die sich an uns wenden, bis sie wieder einen Weg sehen und weiter kommen. Nur weil wir Laien sind, sind die Hilfesuchenden nicht krank? Nur weil wir Laien sind, ist unsere Hilfestellung keine Hilfe? Ein Profi will sich im Chaos einer Wohnung eines Betroffenen die Hände nicht schmutzig machen. In Ordnung. Die Gespräche im Betreuten Wohnen sind nach Schilderungen der Betreuten oft nicht mehr als das "Händchenhalten", wie das jede gutmütige Hausfrau auch machen kann. Psychisch kranke Menschen sind nicht derart schwierig, dass sie nur von Profis betreut werden können. Ein großer Teil der Bevölkerung eignet sich in geradezu vorbildlicher Art und Weise für den Umgang mit psychisch Kranken. Leider haben die Menschen, die für ehrenamtliche Arbeit die Zeit haben, wenig Geld. Daher müssen Kosten, die bei der ehrenamtlichen Arbeit entstehen, z. B. Fahrtkosten etc., selbstverständlich erstattet werden. Dieses Potential von hilfsbereiten und geeigneten Bürgern und Nachbarn liegt bisher in unserem Staat brach, weil die Profis mit dem ehrenamtlichen Engagement nichts anzufangen wissen. Sie fühlen sich nur unter ihresgleichen wohl. Ihr eigenes Selbstverständnis ist Maßstab für alle anderen.

Einen Teil meiner vorbereiteten Gedanken habe ich in mein Grußwort zum 20-jährigen Jubiläum gepackt

Die Selbsthilfe der Betroffenen hat bisher keinen Stellenwert im Psychiatriekonzept in unserer Region. Wir bewegen uns mit unserer Bürgerinitiative in einem rechtlich nicht geregelten Raum und haben keinerlei Anspruch auf Förderung - außer durch die Krankenkassen. So werden wir z.B. im Psychiatriebeirat durch die Angehörigen vertreten. Nach unserer Auffassung sind Angehörige Beteiligte. Wir sind die Betroffenen. Ein sehr intelligenter Betroffener sagte mir kürzlich, dass er große Hoffnung in die Gentechnik setzt. Warum denn das? "Damit man feststellen kann, ob ich wirklich schizophren bin." Wir alle wissen hier, dass niemand immer schizophren ist. Den Betroffenen wird jedoch dieser unheilvolle Stempel ein für alle Mal aufgedrückt. Mit dem Stempel "schizophren" werden wir zu Behinderten gemacht, auch wenn wir gute Zeiten haben. Mangelnde Aufklärung trägt dazu bei, dass uralte Vorurteile weiter bestehen. "Wir sind die letzten Deppen, auf denen man in unserem Staat noch herumtrampeln kann", so eine junge Frau kürzlich bei unserer Jahrestagung des BPE in Kassel. So lange ein professioneller Betreuer in meiner Gegenwart zu einem hochintelligenten 40-jährigen Betroffenen ungestraft sagen kann "der ist auf dem Stand eines Sieben-jährigen", gibt es für uns noch viel zu tun.

Ich möchte zum Schluss eine Lanze für die Profis brechen. Fachleute werden im Bereich und im Umfeld der Psychiatrie niemals überflüssig werden. Gerade wenn Betroffene, Angehörige und geeignete Bürger mehr Eigenverantwortung übernehmen, brauchen wir die Fachkenntnisse, das Wissen und die Erfahrung der Profis. Die Arbeit der Fachleute wird durch eine neue Art des Umgangs mit psychisch Kranken und deren Familien auf gleicher Augenhöhe aufgewertet. Ihre Arbeit wird viel mehr Spaß machen, wenn sie uns in ihre Konzeptgedanken endlich kreativ mit einbeziehen, anstatt uns immer nur betreuen zu wollen. Für alle Betroffenen, die sich im bisherigen System der gemeindenahen Psychiatrie geborgen fühlen, gibt es weiterhin gesetzliche Betreuer, Betreutes Wohnen, Heime und auch neuerlich wieder verstärkt Elektroschocks.

Über den Autor

Heidi Höhn Heidi Höhn arbeitet seit 1990 mit psychisch kranken Menschen, und gründete im Jahr 2000 die eigenständige Selbsthilfegruppe Forum Schmiede e.V.. Als Vorsitzende des Vereins sieht sie Ihre Aufgabe insbesondere darin, psychisch Kranke in ihrem Selbstwertgefühl zu stärken und in das soziale Umfeld zu integrieren. Dazu veranstaltet Heidi Höhn nicht nur unterschiedliche Treffen, sondern auch Gesprächskreise und Seminare.