Jahrestagung des BPE in Kassel 2008

26.11.2008
Angenommen werden ! Sich selbst annehmen ! 10.- 12. Oktober 2008 in Kassel

Im Hof der Jugendherberge Kassel herrschte bei sonnigem Herbstwetter reges Leben. Die Besucher kamen einzeln oder in kleinen Gruppen, das Wiedererkennen und die Begrüßung untereinander war ausgesprochen herzlich. Viele der Teilnehmer der Jahrestagung des BPE haben in ihrem Leben schwere psychische Krisen überstanden und fast alle waren mehrmals in einer hoffnungslosen Situation. Wir treffen uns, um Gemeinsamkeit zu finden, "die uns stark macht". Viele junge Leute waren gekommen, aber auch einige flotte Träger grauer Haare. Schlips und Jackett suchte man hier vergebens. Sympathisch, das ist das Gefühl, das diese bunt gemischte Gesellschaft vermittelt.

Lauter Unikate

Carl Wilhelm Ideler

Vor 150 Jahren schrieb einer der Begründer der deutschen Psychiatrie, Carl Wilhelm Ideler (1795 bis 1860), über die Menschen in der Psychiatrie: "Werfen wir einen Blick auf das Gebiet der Erscheinungen, so überzeugen wir uns leicht, dass sie die höchsten Interessen des Lebens umfassen und sie im Gewande einer hochtragischen Poesie zur Anschauung bringen. Denn wir begegnen dort fast niemals jenen flachen, seelenlosen, bedeutungsleeren Gestalten der Alltagswelt, an denen jeder Charakterzug verwischt, in denen jeder schöpferischer Trieb, jedes selbstbewusste Streben erstickt ist". Diese auch auf die Teilnehmer unserer Jahrestagung zutreffende Beschreibung habe ich einem Artikel von Dorothea Buck aus dem letzten Rundbrief des BPE entnommen. Als ich Ende der neunziger Jahre das erste Mal hierher kam, hatte ich das Gefühl, endlich die Menschen gefunden zu haben, die ich überall gesucht hatte. Seitdem habe ich keine Jahrestagung versäumt. Hier bekomme ich Impulse und tanke Kraft für die Arbeit, die noch vor mir liegt.

Gedenktag durchgesetzt Das Thema der diesjährigen Tagung lautet: "Angenommen werden! Sich selbst annehmen!" Traditionsgemäß wird zu Beginn aus den Selbsthilfegruppen an der Basis und von den Aktivitäten einzelner Gruppen berichtet. Das wichtigste Ereignis war, dass künftig am 1. Samstag im September eine Gedenkveranstaltung für die Opfer der "Euthanasie" und Zwangssterilisation im Nationalsozialismus in der Tiergartenstraße 4 in Berlin stattfinden soll. Hier hat Ruth Fricke entscheidend mitgewirkt. Dorothea Buck hat bei der ersten Gedenkveranstaltung am 6. September 2008 eine viel beachtete Rede gehalten. Am Freitagabend war Kulturprogramm angesagt. Karla Kundisch wurde leicht nervös, weil sich alles etwas verspätete. Aber gerade dieses Lampenfieber bekam dem Vortrag ihrer skurrilen Gedichte sehr gut, die sie nun auf ihre unnachahmliche Art vorlas. Sie hatte selbst spürbar Freude an ihren frechen Wortspielereien und bekam sehr herzlichen Applaus. Kurz darauf zauberte Peter Weinmann mit Licht und Ton fetzige Disco-Atmosphäre. Am Samstag waren Grußworte der Auftakt der Veranstaltung, allen voran wurde das Grußwort von Dorothea Buck von Reinhard Wojke verlesen. Dorothea ist Zeitzeugin der letzten 70 Jahre Psychiatrie in Deutschland. Bei ihrem ersten Klinikaufenthalt als junge Frau war sie 9 Monate ohne Gespräch. Sie stellt fest, dass diese gesprächsarme Psychiatrie noch heute zu beklagen ist und zudem die biologistischen Schüler von ihren Lehrern leider auch nichts anderes gelernt haben, als uns abzuwerten und Medikamente auch unter Zwang und Fesseln einzusetzen. Mit ihren nunmehr 92 Jahren konnte sie nicht mehr selbst kommen. Im Hintergrund sah man Dorothea in einem Video, das am ersten Gedenktag der Euthanasie in Berlin gedreht wurde. So hatte man die Illusion ihrer Anwesenheit. Sie sprach freundlich und sehr bestimmt den amtierenden und potentiellen Vorstandsmitgliedern und sonst noch Aktiven im BPE wegen der nicht enden wollenden Streitereien ins Gewissen und wünschte uns allen einen friedlichen Verlauf der Tagung.